Die steirische Mumie

Die steirische Mumie     ©                                                       Iris Hanousek-Mader

Das Druckgeschwür unserer Zeit entsteht durch die Humorlosigkeit unserer Gesellschaft. Das geht ganz tief. Durchdringt alle Hautschichten bis in die Knochen. Unsere Stützapparate sind bereits geschwächt. Dem Schwarzweiß des Alltags fehlen die Farben des Lachens.

Der Großvater war Wirt in einem Landgasthaus in Murau und mir ein Vorbild in dieser Angelegenheit. Oft trieb er Schabernack mit seinen Gästen, mal sang er als venezianischer Gondoliere Lieder für sie, dann trieb er sie von Almhütte zu Almhütte und versorgte sie mit Geschichten von der Habergoas, dem Kasamandl und frechen Sennerinnen.

Doch nicht nur seine Witze waren legendär auch die Anekdoten über ihn und eine davon wird noch heute als Amuse-Gueule (Appetithäppchen) bei den Zusammenkünften der Murauer Bürger an ihren Stammtischen durchgereicht.

Es war mittags und mein Großvater pflegte seinen sonntäglichen Schlaf. Vor dem Wirtshaus unter seinem Schlafzimmerfenster versammelten sich junge Bauernburschen aus der Umgebung. Sie lachten laut und riefen vorbeifahrenden Frauenzimmern Schmähs und Komplimente zu. Manche trieben es gar bunt.

Einer der jungen Herren begann, angetrieben durch einen Testosteronschub, wie ein röhrender Hirsch zu rülpsen. Dabei zog er alle Darmregister und die Umstehenden feuerten den Urlautjodler zu Höchstleistungen an. Der Lärmpegel erreichte eine Lautstärke die mein Großvater aus seinen Träumen riss. Er fuhr auf dem Bett hoch, dabei sah er aus wie eine Mumie. Auf dem Kopf saß ein Haarnetz, das seine schwarzen Haare bändigte. Über dem Schnauzbart klebte eine Binde. Die Unterwäsche hing schlaff bis zu seinen Knien. Der Hinterteil war durch einen kleinen braunen Fleck gestempelt. Das Unterhemd war ausgeleiert und auf der rechten Seite quoll die Brust aus dem rechten Armloch hervor. Die Augen waren kaum geöffnet, da seine starke Alterssichtigkeit ihm den Blick vernebelte.

Das künstliche Gebiss war herausgenommen und lag noch im Zahnputzbecher auf dem Regal über dem Waschbecken. Die Wangen waren eingefallen und er griff nach seinen Brillen.

Die steirische Mumie wankte durch das Schlafzimmer zum Fenster hin. Hantierte umständlich an den Fenstergriffen, öffnete die Flügel. Da stand er, der Gastwirt in der ausgebeulten, gelblichen, knielangen Unterhose. Durch das Haarnetz, die verschwollenen Augen und die Bartbinde entstellt und dort wo seine weißen Zähne blitzten, war ein schwarzes Loch. Der Aufgeweckte schrie aus Leibeskräften:

Fleichts euch ihr Gfindl!  Schleichts euch ihr Gesindl!

Zuerst war es still auf der Straße. (…) Die rotbackige Bauerngesellschaft stand wie angewurzelt da, der Store bewegte sich sanft im Wind, ein Moment, wie ein Bild von Breugel dem Maler.  Die Augen der jungen Männer auf der Straße unter dem Fenster weiteten sich und die Mundwinkel begannen zu zucken. Einen Augenblick später tanzten die Zähne auf ihren Lippen. Die gestandenen Mannsbilder lachten, wieherten, wie ihre aufgeregten Haflinger, kurz bevor zu zur Stute können.

Der vernetzte Großvater stand da und funkelte auf die Burschen hinunter.

„Ja, Lerchervater“, schrie ein Bauer aus Stadl rauf. „Kommst leicht grad aus Ägypten?“ Alle lachten. Nach ein paar Minuten blitzten auch seine Augen, sein Mund verzog sich und seine eingefallenen Lippen begannen zu zucken. Er lachte, dabei rann ihm Speichel aus den Mundwinkeln. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Dann schloss die Fenster, drehte er sich um und ging ins Bad um sich, wie er zu sagen pflegte, zu kultivieren.

Eine halbe Stunde später saßen alle der zivilisierte Großvater und die Bauernschaft aus der Region am Stammtisch um ausgiebig zu zechen.

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